Nagib Mahfuz

mahfus

Der nachfolgende Artikel über Mahfuz entstand als Skript im Rahmen eines Vortrages, den ich über den großen ägyptischen / arabischen Schriftsteller, in der „Arabischen Buchhandlung“ (die es leider nicht mehr gibt), hielt.

Um genau zu sein war das Themas meines Vortrages das Buch „Die Kinder unsres Viertels“.
1.         Das, mit dem wir uns beschäftigen
Den Roman „Die Kinder unseres Viertels“ isoliert darzustellen würde dem Schaffen und dem Werk von Nagib Mahfuz nicht gerecht werden.

Deshalb soll an dieser Stelle doch einiges über den Autor und sein Gesamtwerk gesagt werden.

2.Nagib Mahfuz
2.1Sein Leben und Werdegang

Nagib Mahfuz wurde am 11. Dezember 1911 in Kairo geboren. Er sollte seine Ge­burtsstadt nur sehr selten verlassen. Er war nur zweimal im Ausland. Die heißen Sommermonate verbrachte er, wie viele andere Familien aus dem Mittelstand, in Alexandria.

Fast alle seine Romane spielen in diesem Lebensraum – also in Kairo; seltener im Alexandria.

Es ist sehr schwer Nagib Mahfuz Jugend nachzuvollziehen, da er sich weigert eine Autobiographie zu schreiben. Hauptquelle dieser Zeit sind einige Romane, die au­tobiographische Züge haben (Das Kuschtumr, Geschichten unseres Viertels) und die Interviews, die er dem Schriftstelle Gamal al-Ghitani gegeben hat. Dieser hat diese Interviews zu einem Buch zusammen getragen („Nagib Mahfuz erinnert sich“, 1980). Nagib Mahfuz hat dieses Buch zu seiner „Autobiographie“ erklärt und ihm absolute Authentizität bescheinigt.

Nagib Mahfuz entstammt aus dem Kleinbürgertum. Sein Vater war lange Angestell­ter im Staatsdienst; später war er Partner in einem Laden, den er mit einem Freund betrieb.

Zuhause herrschte ein strenges, aber durchaus menschliches Klima. Der Vater ent­sprach anscheinend nicht im Entferntesten dieser mystischen, autoritären und patri­archalischen Vatergestalt, die sich in einigen seiner Werke wieder findet (Trilogie: „Zwischen den Palästen, Palast der Sehnsucht, Das Zuckergässchen“).

Auch die Mutter ähnelt nicht der Gestalt der Amina aus der Trilogie, sondern sie pflegte durchaus Kontakte mit zahlreichen Frauen. Es gab ein gemeinsames Fami­lienleben mit Spaziergängen, Ausflüge in Museen oder zu den Pyramiden.

Durch den großen Altersunterschied zu seinen anderen Geschwistern (2 Brüder und vier Schwestern) wuchs er fast wie ein Einzelkind auf, mit besonderer Zunei­gung von seiner Mutter. Bei dieser lebte er auch bis zu seiner Heirat 1954.

Sonstige intellektuelle Anreize, die über die o.g. hinausgingen, waren im Elternhaus nicht vorhanden – das einzige Buch sei der Koran gewesen. Dies unterscheidet Mahfuz von den meisten anderen Schriftstellern der vorangegangenen Generatio­nen, die meist aus großbürgerlichen oder aristokratischen Elternhäusern stammten.

Mit vier Jahren erfolgte die Einschulung in die Koranschule. Ab 1917 besuchte Nagib Mahfuz die Grundschule. 1925 zog Nagib Mahfuz aus seinem alten Stadtteil Gamalija um in den Stadtteil Abbassija. Die Freunde aus dem alten Stadtteil verlo­ren ihre Bedeutung weitgehendst für sein späteres Schaffen – der neue Freundes­kreis, der sich aus dem Besuch der Oberschule ergab, hatte doch Auswirkungen auf die spätere Zeit. (Das Kuschtumr).

In dieser Zeit wurde sein Interesse für die Schriftstellerei festgelegt. In der Schulzeit versuchte Nagib Mahfuz besuchte Kinofilme (Kriminalgeschichte) nachzuerzählen. In dieser Zeit dienten zwei Schriftsteller als seine Vorbilder Ali Abdarrasiks und Taha Hussain. Diese zwei Schriftsteller waren erst über den Umweg der Philoso­phie zur Schriftstellerei gelangt.

Dies hatte auch Auswirkungen auf das Studium von Nagib Mahfuz. Er studierte nicht Literatur, sondern Philosophie auch gegen den Wunsch seines Vaters, der es lieber gesehen hätte, wenn Nagib Mahfuz Jura studiert hätte.

Viele seiner Autorenkollegen haben einen Teil ihres Studiums an Ausländische Uni­versitäten absolviert. Bei diesen sollte später ihre Zerrissenheit zwischen Europa und dem Orient eine Rolle spielen. Nagib Mahfuz entschied sich das gesamte Stu­dium an der nationalen Faud.l.-Universität von 1908 zu absolvieren. Diese hatte einen sehr viel offeneren Charakter als die altehrwürdige islamische As’har-Uni­versität.

Hier begann Nagib Mahfuz mit der Schriftstellerei für Zeitungen und Zeitschriften. Aber erst nach Absolvieren des Studiums konnte er sich intensiv in die Weltliteratur einlesen.

In den 30er Jahre fing er mit den „Pharaonischen Romanen“ an, um dies Feld der Schriftstellerei zu verlassen. Ab 1934 ist er in der ägyptischen Bürokratie tätig. Zu­erst in der Universitätsverwaltung; ab 1939 im Ministerium „Für Fromme Stiftun­gen“.

1943 erhält er einen Staatspreis für seinen Roman „Radubis“ (Rhodophis).

Von nun an reflektieren seine Romane seine unmittelbare Lebenswelt. Seinen Durchbruch erreicht Nagib Mahfuz mit seiner „Trilogie“ (s.o.), die er noch vor der Revolution von 1952 fertig stellte, aber erst 1956/57 veröffentlichte. Während dieser Jahre wendete sich Mahfuz mehr dem Film zu.

1954 heiratet Mahfuz Atijatallah Ibrahim.

Für seinen z. Band der Trilogie (Palast der Sehnsucht) erhält Mahfuz 1957 den Staatspreis für Literatur zugesprochen.

1959 erscheint der Roman „Die Kinder unseres Viertels“ als Fortsetzungsroman in der Kairoer Tageszeitung “ al-Ahram“. Nagib Mahfuz wird außerdem zum Vorsit­zenden der Kunstzensur.

Seine Arbeit mit dem Medium Film spiegelt sich in der Berufung von Mahfuz zum Präsidenten des Filmamtes 1960 wieder. Dies wird fortgesetzt mit seiner Berufung zum künstlerischen Berater der ägyptischen Filmorganisation 1962. In diesem Jahr erhält er auch den Verdienstorden Erster Klasse.

1965 wird Mahfuz Mitglied des Obersten Rates für Kunst und Literatur.

1967, nach der arabischen Niederlage gegen Israel verändert sich der Romantyus bei Mahfuz – und vielen seiner Schriftstellerkollegen.

1968 wird Mahfuz Berater des Kultusministers Sarwat Ukascha.

1970 wird Mahfuz Mitglied des Hohen Rates zu Förderung der schönen Künste. Er erhält den Nationalen Verdienstpreis und wird Mitglied des Redaktionsstabes der Tageszeitung „al-Ahram“.

Kein Künstler kann nur durch die Arbeit seiner Feder seinen Lebensunterhalt in Ägypten verdienen. So war Mahfuz bis zum Tage seiner Pensionierung gezwungen gewesen, einen „Brotberuf“ auszuüben. Mit seiner Pensionierung 1971 konnte sich nun Mahfuz ganz der Schriftstellerei widmen.

1982 erhält Nagib Mahfuz einen Preis von der franko-arabischen Literatur zuge­sprochen.

Durch die Verleihung des Nobelpreises für Literatur am 14. Oktober 1988 wird das Lebenswerk von Nagib Mahfuz gekrönt.

Nagib Mahfuz war somit der erste Schriftsteller in arabischer Sprache, der diesen Preis erhielt. Dies hätte Grund sein können, sich über diese internationale Anerken­nung zu freuen.

Gleich nach der Verleihung begann ein Disput, sowohl auf der nationalistischen als auch auf der religiösen Ebene.

Die Diskussion auf der weltlichen Ebene verebbte schnell wieder. Hier ging es um die Frage, hat nun ein Araber oder ein Ägypter den Preis erhalten. Die einen zeig­ten Stolz, dass ein Schriftsteller der arabischen Sprache diesen Preis erhalten hat, die anderen sahen in dem Preis nur eine Belohnung für westlich wohlgefälliges Verhalten – unter anderem der Unterstützung der Sadatschen Politik und dem Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel.

Der Disput auf der Religiösen Ebene wurde sehr viel heftiger und länger geführt – teilweise wird sie noch immer geführt. Es dreht sich um den Roman „Die Kinder un­serer Gasse“. Politisch links orientierte Kritiker sagen, dass Nagib Mahfuz den Preis eben für dieses Werk bekommen hat, in dem mit der Religion – auch mit dem Islam – abgerechnet wird.

Richtig sagen aggressive religiöse Kreise. Der Westen belohnt mit dem Nobelpreis die Verungimpflichung des Islams und der Religion insgesamt. Sowohl Rushdie (Satanische Verse) als auch Mahfuz wurden der Gottlosigkeit und des Abfalls vom Islam bezichtigt, obwohl Mahfuz seine doppelte Verwurzelung klar und deutlich her­vorhob: er stamme aus der islamischen und der ägyptischen Kultur.

Ein Schriftsteller erhält den Nobelpreis nicht für ein Werk, sondern für sein Ge­samtwerk, und die Bedeutung des Werkes für den entsprechenden Kulturraum und die Weltliteratur.

2.2       Sein Gesamtwerk
Um die Kinder unseres Viertels zu verstehen, muss ein kurzer Blick auf das Gesamtwerk von Nagib Mahfuz geworfen werden. Nur der Gesamtzusammenhang kann uns das Detail erschließen.

Die ersten Veröffentlichungen von Nagib Mahfuz waren Kurzgeschichten, obwohl der Autor später ja für seine Romane berühmt wurde. Dies hatte, wie Nagib Mahfuz selbst erzählte, ganz banale Gründe. Es fand sich zu dieser Zeit kein Verleger, der Romane veröffentlichen wollte. Kurzgeschichten waren besser zu veröffentlichen. Diese fanden Platz in Zeitungen und Zeitschriften.

Die ersten drei Romane wurden zwischen 1939 bis 1944 veröffentlicht:

* 1939: Das Spiel des Schicksals
* 1943: Rhodipis
*1944: Theben

Diese Romane waren im pharaonischen Ägypten angesiedelt. Unter dem Deckmantel des historischen Romans wurde der Absolutismus des Königshauses, Großbritannien als Kolonialmacht und die daraus resultierenden sozialen Missstände angegriffen. Diese Bücher waren ein Forum für den erwachenden Nationalstolz und die Rückbesinnung auf alte Niltraditionen.

Zwar hatte Nagib Mahfuz vor ein umfangreiches historisches Werk zu schaffen, Themen für 40 Romane über die pharaonische Zeit hätte er gehabt, doch nach der Veröffentlichung der drei Bände wandte er sich zwischen 1945 bis 1949 dem Ägypten seiner Zeit zu – und der Gesellschaftsschicht aus der er stammte, dem Kleinbürgertum. Dies fiel in eine Zeit, in der Nagib Mahfuz aufgrund seiner neuen beruflichen Tätigkeit (Beamter im Ministerium für religiöse Stiftungen) näher an der sozialen Realität war.

Die Romane dieser Schaffensperiode reflektieren eine tiefe Betroffenheit über die Zuspitzung der sozialen Gegensätze ebenso wie die immer mehr um sich greifende Korruption – meist ein Versuch als Ausweg aus der Armut und Not.

Die Periode von 1945 bis 1949 ist für den Ruhm und die Bedeutung von Mahfuz für den arabischen Sprachraum von Bedeutung. Die Struktur seiner Romane ist klar und linear. Die Handlung folgt dem traditionellen, chronologischen Ablauf. Neuere Techniken der abendländischen Literatur wurden nicht verwendet. Nagib Mahfuz hat diesen Rückgriff auf einen in Europa etwas veralteten Romantyps damit begründet, dass auch die ägyptische Literatur erst den Realismus habe durchmachen müssen, ehe sie sich anderen Stielarten hat zuwenden können.

Romane dieser Zeit:  
1945 Das neue Kairo
1946 Han al-Halili
1947 Die Migaq-Gasse
1948 Fata Morgana
1949 Anfang und Ende   

Sein schriftstellerisches Schaffen hatte ab hier eine Pause. Wahrscheinlich hatte Nagib Mahfuz sich erschöpft. Außerdem war er der Meinung, dass die Juli Revoluti­on von 1952 sein Schaffen überflüssig gemacht hat, da die sozialen Missstände , die er angeprangert hat, behoben hat. Er beobachtete die sozialen Umwälzungen dieser Zeit – der Nasser-Revolution bis 1956, wo er sich dann doch wieder litera­risch zu Wort meldete.

Aber während dieser Zeit war Nagib Mahfuz nicht untätig, sondern er widmete sich dem Medium Film. Er hat für einige seiner Romane auch die Drehbücher geschrie­ben und war im Kultusministerium für das „Medium Film“ als Berater mit verant­wortlich – aber seine Liebe galt dem geschriebenen Wort.

1956/57 veröffentlichte Nagib Mahfuz ein Werk, das ihn weit über die ägyptischen Grenzen bekannt machte und ihn nach dem Erscheinen den Staatspreis für Litera­tur einbrachte. An dieser Trilogie hat Nagib Mahfuz schon seit Mitte der 40ger Jahre gearbeitet. 1952 – kurz vor der Julirevolution war das Werk beendet. Aus den schon genannten Gründen verzögerte sich deren Veröffentlichung bis 1956/57.

In dieser Trilogie (Zwischen den Palästen, Palast der Sehnsucht, Das Zuckergässchen) wird der allmähliche Zerfall der patriarchalischen Familienstruktur einer Kaufmannsfamilie beschrieben, die in einem engen Zusammenhang mit der politi­schen Entwicklung des Landes steht. Nahe liegende Vergleiche mit anderen Fami­lienepen der Weltliteratur wie den Buddenbrooks von Thomas Mann oder der Forsyte Saga von John Galsworth sind durchaus zulässig, da Nagib Mahfuz, nach eigenen Worten, sich an diesen Werken orientierte.

1959 trat Nagib Mahfuz mit einem neuen Roman an die Öffentlichkeit – „Die Kinder unseres Viertels“. Aber dazu später.

„Die Kinder unseres Viertels“ war der Vorläufer eines neuen Typus von Romanen. 1961 erschien das Buch „Der Dieb und die Hunde“, in dem es nicht primär um die Darstellung des gesellschaftlichen Lebens oder / und dem sozialen Problemen geht, sondern der Schwerpunkt lag nun auf dem individuellen – emotionalen Be­reich. Die Frage nach dem Schicksal Einzelner in Zusammenhang mit der politi­schen, sozialen und materiellen Umgebung steht im Vordergrund. Der Romane dieser Zeit reflektiert die Erfahrung von 10 Jahren Nasserzeit.
Folgende Schlüsselromane entstanden in dieser  Zeit:

1961: Der Dieb und die Hunde
1962: Die Wachteln und der Herbst
1964: Der Weg
1965: Der Bettler
1966: Das Hausboot am Nil
1967: Miramar   

Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre haben zwei wichtige Ereignisse auf das Schaffen von Nagib Mahfuz Einfluss genommen – der arabisch – israelische Junikrieg von 1967 und seine Pensionierung vom Staatsdienst.

Der Ausgang des Sechstagekrieges hat Nagib Mahfuz derart verunsichert und de­primiert, dass einige seiner Erzählungen sich dem Absurden näherten. Angstträume und Schreckensvisionen sind in vielen seiner Erzählungen aus dieser Zeit zu fin­den.

1969: Unterm Schutzdach
1969: Die Kneipe Zur schwarzen Katze
1971: Der Honigmond    

Einige Jahre später, 1974, erschien „Das Karnak“, Nagib Mahfuz’s Abrechnung mit der Nasserzeit – nicht mit Nasser wie er betonte sondern mit allem, was Nasser verachtete – Bürokratie und Korruption. Für viele ein Sakrileg – für viele zu spät.

Elf Jahre später, 1985, erschien sein Werk „Der Tag, an dem der Führer ermordet wurde“ – seine Abrechnung mit der Sadat-Ära.

1971 wurde Nagib Mahfuz pensioniert. Er konnte sich nun ganz seinem literari­schen Schaffen widmen, ohne einer anderen Tätigkeit nachgehen zu müssen. Kein arabischer Schriftsteller kann nur von dem Leben, was seine Feder liefert.

Diese neue Freiheit führte zu einer neuen stattlichen „Produktivität“, die sich durch eine bis dahin nicht bekannte formale und thematische Vielseitigkeit auszeichnet.

Verschiedene Elemente aus dem bisherigen Werk wurden erneut aufgenommen und weitergeführt.

Nagib Mahfuz hat es immer abgelehnt eine Autobiographie zu schreiben. Aber ei­nige Werke dieser Spätzeit reflektieren ein Leben. „Rosenmorgen“ von 1987 sind Erzählungen aus dem Leben der Leute der Kairoer Stadtviertel al-Gamaliya und al-­Abbasiya, in denen Nagib Mahfuz seine Kindheit verbrachte.

Eine andere literarische Tendenz der späteren Jahre ist der Rückgriff auf Form und Inhalt mittelalterlicher arabischer Literaturwerke. Diese Tendenz ist aber bei vielen arabischen Literaten zu erkennen. Der 1982 erschienene Roman „Die Nächte der Tausend Nächte“ reflektiert Mahfuz’s Gedanken zu den Geschichten aus „Tausendundeiner Nacht“.

Im Gegensatz zu diesem Rückgriff auf die Geschichte stehen seine Romane, die sich mit den neuesten Entwicklungen in Politik und Gesellschaft im Lande befassen.

Nagib Mahfuz gilt als Symbol für die ägyptische und arabische Literatur. Er begann mit historischen Romanen, hat Sozial- und Gesellschaftskritisches geschrieben und ging dann über zu der sehr subtilen Darstellung der menschlichen Existenz.

In den 70er und 80gr Jahren kann sein Schaffen nicht mehr auf einen Nenner ge­bracht werden. Er greift auf Altes zurück und interessiert sich für die neuesten Ten­denzen. Seine Entwicklung ähnelt der arabischen Literatur insgesamt.

3.         Die Kinder unseres Viertels
3.1       Entstehung des Romans

„Die Kinder unseres Viertels“ erschienen erstmalig in der Zeit vom 21. September bis 25 Dezember 1959 als Fortsetzungsgeschichte in der Tageszeitung „al-Ahram“.

Noch vor Abschluss des Werkes musste die Erscheinung eingestellt werden, da sich ein Sturm der Entrüstung aus orthodoxen islamischen Kreisen erhob. Islamische Gelehrte der As’har Universität in Kairo kritisierten bei dem Werk das „freche Anta­sten heiliger Dinge“.

Dass durch die Darstellung der Personen, die ja, bis auf die letzte, daraus an die Gründerfiguren der monotheistischen Religionen, beziehungsweise an deren gemeinsame Gründerfigur der Menschheit erinnern, die Religion oder die Religionen als solche verungimpflicht werden sollen, wie zahlreiche Muslime behaupten, ist ein Irrtum. Denn “ Die Kinder unseres Viertels“ ist nicht der Versuch einer historischen Darstellung von Moses, Jesus oder Mohammed, in der Fakten oder Glaubensin­halte respektlos präsentiert würden.

Der Autor bedient sich lediglich einiger biblischer, koranischer und volksreligiöser Traditionen, um diese Heilsbringer als solche zu kennzeichnen.

Außerdem geraten diese Heilsbringer nicht ins moralische Zwielicht, sondern die Nachfolger, diejenigen, die die Lehre nach dem Tod der Religionsstifter entstellen oder missachten, so dass die Religionen nicht in der Weise wirken können, wie es ursprünglich vorgesehen war.

In Buchform ist der Roman bis heute nicht in Ägypten erschienen. Erstmalig veröf­fentlicht wurde das Buch erst 1967 in Beirut.

Nochmals sorgte das Buch für Aufregung 1988, als Nagib Mahfuz den Nobelpreis für Literatur verliehen bekam.

Politisch links orientierte Kritiker sagen, dass Nagib Mahfuz den Preis für „Die Kin­der unseres Viertels“ bekommen hat, in dem mit der Religion – auch mit dem Islam – abgerechnet wird.

Richtig sagen aggressive religiöse Kreise. Der Westen belohnt mit dem Nobelpreis die Verungimpflichung des Islams und der Religion insgesamt. Sowohl Rushdie (Satanische Verse) als auch Mahfuz wurden der Gottlosigkeit und des Abfalls vom Islam bezichtigt, obwohl Mahfuz seine doppelte Verwurzelung klar und deutlich her­vorhob: er stamme aus der islamischen und der ägyptischen Kultur.

Trotz des Publikationsverbotes in Ägypten bis in die neueste Zeit und der Kritik der islamischen Institutionen an dem Roman wurde ihm in der arabischen Welt nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt und nur eine begrenzte Zahl Untersuchungen und Darstellungen sind ihm gewidmet. Arabische Autoren und Kritiker bewerten an­dere Romane von Mahfuz als bedeutender und wichtiger.

Westliche Orientalisten zeigen an diesem Werk ein sehr viel größeres Interesse.

3.2       Der Roman selbst

Der Roman „Die Kinder unseres Viertels“ nimmt in gewisser Weise eine Sonderstel­lung im Schaffen von Mahfuz ein. Es lässt sich ohne weiteres in sein Gesamt­werk positionieren. Allegorien dieser Art hat er nicht viele verfasst.

Thema des Romans ist „die Geschichte der Menschheit als Heilsgeschichte“ von der Erschaffung der Welt und der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies über das Auftreten der Propheten bis zu den Problemen der Gegenwart. Die Ge­schichte wird von einem armen Volkserzähler dargestellt, der die Schöpfungsge­schichte und die Geschichte der drei großen monotheistischen Religionen als die unmittelbare Geschichte „unseres ruhmvollen Viertels“ und seiner „getreuen Söhne“ darstellt. Die Gegenwart ist aber genauso miserabel, auch wenn der jetzige Heils­bringer Gamal Abdel Nasser heißt.

.Diese Heilsgeschichte wird durch fünf Teile dargestellt, die jeweils den Namen der Hauptfigur trägt:

Adham (= Adam)
dabal  (= Moses)
Rifä ä  (= Jesus)
Qäsim (= Mohammed)
Arafä (= der Vertreter der Moderne)

„Die Kinder unsres Viertels“ ist die Geschichte eines Anwesens (eines wakf), das ein Sippenahn mit Namen al-dabaläwi, „der Mann vom Berge“, am Stadtrand von Kairo eingerichtet hat. Er selbst wohnt in diesem Anwesen, das aus einer sehr schönen Villa mit Park, die von einer hohen Mauer umgeben ist, besteht.

Kairo bildet in diesem Zusammenhang nur eine sehr unbestimmte, diffuse Kulisse. Erkennbar ist der östliche Rand der Altstadt, am Saum der Wüste, in unmittelbarer Nähe der Mukattamberge. Diese Lokalität spielt überhaupt keine Rolle, sie könnte überall angesiedelt sein, denn sie soll dem Leser nur als Orientierungshilfe diesen. Der Ort ist nur der Rahmen einer Allegorie, in der die Vermenschlichung der Hell­geschichte stattfindet.

Durch die Wahl von Kairo als Ort der Handlung wird die Heilsgeschichte in unmit­telbare Nähe gerückt.

Mit ihm wohnen seine zwei Söhne Adham (=Adam) und Idris (=lblis = Satan). Als Adham, der Jüngste Sohn, die Verwaltung für das Anwesen übertragen bekommt rebelliert Idris, der wird für diesen Aufstand gegen die väterliche Autorität verstoßen und aus dem Haus gejagt.

Adham heiratet Uminä (=Eva). Als Adham auf Betreiben von Uminä und Idns ver­sucht einen Blick in das „Testament‘ zu werfen, herauszufinden was der Vater mit dem Anwesen vorhat, wird Adham von al-Gabaläwi überrascht und muss mit seiner Frau das Anwesen verlassen (Erbsündenmotiv).

Diese Vertriebenen gründen nun das „Viertel“. Einige Zeit später werden zwei Söh­nen dem Adham und der Umina geborene: Qadri und Humam. Qadri tötet seinen Bruder (Kain und Abel).

Das Einkünfte des Anwesens werden zu Stiftung (=wagf) und diese Einkünfte wer­den durch den Treuhändler (Nazir) und dessen Schergen (futuwwät) mit brutaler Gewalt verwaltet.

Teil II bis IV, also die Teile des Romans die von Gaba_I (= Moses), Rifä a (= Jesus) und Qäsim (= Mohammed) handeln, bestehen in Versuchen sich vom Joch dieser Unterdrücker zu befreien.

Jeder repräsentiert eine Weltreligion – Juden – Christen – Moslems. Jeder von die­sen drei Propheten erreicht für kurze Zeit das Beste für seine Anhängerschaft; und sie nehmen für sich in Anspruch, mit ihrem Tun al-dabaläwis Willen zu erfüllen, da sie aus Einsicht in soziale Ungerechtigkeit handeln. Doch sehr schnell kehrt allemal die Tyrannei der Finanzverwalter und ihrer Truppe zurück.

Gabal (Moses) wendet seine Zauberkräfte gegen den Siftungsverwalter an und kann so einen Sieg für seine Sippe erreichen und eine neue Rechtsordnung errich­ten. Diese währt aber nur solange wie er lebt.

Die Zeiten dabals sind längst verflossen, und die alte Ordnung hat sich wieder etabliert. Rifä`ä lehnt sich nicht durch Gewalt auf, sondern er predigt das Reich der Gerechtigkeit und Liebe, um ihn versammeln sich zum Ärger der futuwwät die Un­terdrückten und Armen. Man überredet ihn, um drohender Gefahr zu entgehen, das Viertel mit seinen Anhängern zu verlassen. Doch Yasmina, eine ehemalige Hure, die er aus Mitleid heiratet, verrät ihn an die futuwwät, die ihn ermorden. Seine Lehre überlebt jedoch seinen Tod, und die Rifä`yyün (die Anhänger Rifa`a`as) nehmen ihren gebührenden Platz im Viertel ein.

Im vierten Teil des Buches tritt die Verkörperung von Mohammed in Form von Qä­sim auf. Wie seinen Vorläuferpropheten geht es ihm um die Erfüllung einer heiligen Botschaft, die ihm von einem Diener al-Gabälawis überbracht worden ist. Ihr Inhalt ist umfassend: Alle Söhne des Viertels seien in gleicher Weise seine Enkel, der wagf sei ihr gemeinsames Erbe, die Raubherrschaft sei ein Übel, das vernichtet werden müsse, und das Viertel solle eine Erweiterung des „Großen Hauses“ sein. Doch auch die egalitäre Ordnung, die Qasim mit Mitteln der Gewalt und der Liebe zugleich durchsetzt, gerät alsbald in Vergessenheit.

Nur kurz währt die Sicherheit, die Gabal, Rifa ä und Qäsim gestiftet haben. Von ih­rem Lebenswerk und ihren Lehren erzählen nur noch die Volkssänger.

Der fünfte Teil und der wichtigste des Romans bringt die Geschichte des Zeitge­nössischen „Zauberers“ `Arafä . Auch er hegt den Wunsch, das Viertel von der Gewaltherrschaft zu befreien und den Entrechteten ihr Recht zu geben. Er orien­tiert sich nur noch an den empirisch fassbaren und messbaren Realitäten. In uner­müdlicher Arbeit setzt er neue Waffen gegen die futuwwät ein. Von seinen Erfolgen berauscht will er absolute Wahrheit erlangen. Er trachtet danach, das Geheimnis des Gründers und Großvaters al-Gabaläwi zu erfahren, der seit ferner Zeit in schweigsamer und tatenloser Abgeschiedenheit lebt.

Er dringt in das große Haus ein, um einen Blick in das Testament , „das geheime Buch“, zu gewinnen, das die „zehn Verfügungen“ des Großvaters enthält. Schon nahe am Ziel wird sein Vorhaben durch einen greisen Diener vereitelt, den er in seiner Angst erwürgt.

Am nächsten Tag verbreitet sich die Nachricht, dass der Großvater vor Trauer um seinen getreuen Diener gestorben sei. Durch diese Tat kompromittiert sich Arafat und gerät mit seinen weit überlegen Waffen unter die Herrschaft des Nadirs . Er wird Gefangener der Macht, die er bekämpfen wollte.

Jetzt in Hausarrest dient die Wissenschaft der Unterdrückung. Als er flüchten will wird er getötet. Später soll sein Bruder das Notizbuch mit Arafats geheimem Wissen gefunden haben. Dies bleibt jedoch unklar, aber die Menschen hoffen weiterhin, doch noch einmal in den Besitz des Wissens zu kommen.

Nagib Mahfuz
https://de.wikipedia.org/wiki/Nagib_Mahfuz

Unionsverlag – Nagib Machfus
http://www.unionsverlag.com/info/person.asp?pers_id=1357

Kairos großer Chronist – Zeit Online
http://www.zeit.de/kultur/literatur/2011-12/machfus

Nagib Mahfuz und die arabische Literatur – Im Schatten des Übervaters

Das „Nobel Prize Internet Archive“

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